Die Elektronikindustrie und Nachhaltigkeit: Segen oder Fluch?
03.02.2023 Green & Sustainable Engineering Story embedded world

Die Elektronikindustrie und Nachhaltigkeit: Segen oder Fluch?

Mit dem Claim "embedded. responsible. sustainable." greift die embedded world Exhibition&Conference bewusst Themen auf, die weit über die Branche hinaus diskutiert werten. Zeit sich zu fragen, welchen Beitrag die Embedded-Brache und die Elektronikindustrie insgesamt beim Thema Nachhaltigkeit leisten? Stuart Cording, Elektronikingenieur und freier Autor, beleuchtet einige Probleme und Lösungsansätze.

Produktion von Leiterplatten Gedruckte Leiterplatten werden in subtraktiven Verfahren unter Verwendung korrosiver Chemikalien und erheblicher Mengen an Wasser hergestellt

Nachhaltigkeit vom Produktdesign bis zum Ende des Lebenszyklus der Elektronikgeräte



Elektronikgeräte sind im Alltag unverzichtbar


Schauen Sie sich einmal um und überlegen Sie einen Moment lang, welche Auswirkungen die Abschaffung von Elektronikgeräten auf Ihr Leben haben würde. Netflix und TikTok würden verschwinden, ebenso wie die Möglichkeit zu kochen oder Wäsche zu waschen. Für diejenigen, die stark in das Internet der Dinge investiert haben, wäre es sogar noch extremer. Ihre Haustür bliebe verschlossen. Die einzige verbleibende Fortbewegungsmöglichkeit wäre das Fahrrad –  vorausgesetzt – es ist kein E-Bike.  

Seit Jahrzehnten sind Elektronik und Halbleiter die Retter der Welt. Wir alle würden in unseren Städten an verschmutzter Luft ersticken, wenn die Automobilindustrie nicht auf elektronische Motorsteuerungssysteme umgestellt hätte. Und Elektrofahrzeuge bieten uns die Möglichkeit, den Ausstoß von Schadstoffe weiter zu reduzieren. Computersysteme optimieren die Logistik und die Produktion, senken die Preise für lebenswichtige Güter und verbessern die Lebensqualität für die breite Masse.

Unsere Industrie ist jedoch auch die Quelle vieler Verschmutzungen – von der Herstellung der Komponenten bis zu ihrer Entsorgung. Und die Arbeitsbedingungen in einigen Ländern – vom Bergbau bis zu den Produktionsanlagen – gefährden oft das Leben und die Gesundheit der Menschen, die dort arbeiten.  

Da lohnt ein genauer Blick auf verschiedene Stellschrauben, an denen die Elektronikindustrie drehen kann. Der Artikel greift ausgewählte Problembereiche und Lösungsansätze auf, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit.   

Tonnen von Elektroschrott 


Fangen wir mit dem offensichtlichsten Problem an. Nun, der Elektro- und Elektronikschrott nimmt jährlich zu. Einem UN-Bericht zufolge produzieren wir jedes Jahr etwa 50 Millionen Tonnen davon, aber nur 20 Prozent werden offiziell recycelt. Leider wird ein großer Teil davon ins Ausland verbracht, wo das Recycling oft nachlässig gehandhabt wird und die Gesundheit der Mitarbeiter beeinträchtigt. Und das, obwohl Edelmetalle, wie z. B. Gold, in Elektroschrott in größeren Mengen vorhanden sind als in dem Roherz, aus dem sie gewonnen werden. Der verbleibende Elektroschrott wird häufig auf Deponien entsorgt und verschmutzt das Grundwasser und den Boden. In Deutschland stammen laut Umweltbundesamt  90 Prozent des Elektroschrotts aus Haushalten, der Rest wird von Unternehmen entsorgt.

Wie wir diesem Problem begegnet? Um die europäische WEEE-Richtlinie (Waste from Electrical and Electronic Equipment) zu erfüllen, wurde beispielsweise ein Mechanismus der "geteilten Produktverantwortung" eingeführt. Dabei wird die Recyclingverpflichtung zwischen dem öffentlichen Sektor und dem Hersteller des elektronischen Geräts aufgeteilt. Der Einzelhandel ist ebenfalls beteiligt und nimmt alte Geräte und Apparate zurück. Um die Recycling-Quote von Elektroschrott zu erhöhen, ist es aber noch ein langer Weg. Über den gesamten Lifecycle von Elektrogeräten hinweg –  vom Produktdesign über die Herstellung bis hin zum Endverbraucher – müssen Maßnahmen ergriffen bzw. optimiert werden, um die Recyclingfähigkeit zu erhöhen und die verwendeten Ressourcen nachhaltiger zu nutzen. 
A man repairs components of electronic devices In Repair-Cafés helfen sich Menschen gegenseiteig kaputte Geräte und Elektronik wieder zum Leben zu erwecken

Repairability


Neben der Erhöhung der Recycling-Quote ist die Reparierbarkeit eine weitere wichtige Stellschraube hin zu einer nachhaltigeren Elektroindustrie. Elektronische Geräte – insbesondere Smartphones – nutzen clevere Design- und Fertigungstechniken, um den Verbrauchertrends gerecht zu werden. Das Ergebnis sind kleinere, leichtere und schlankere Geräte. Wenn Ihr Handy jedoch zu Boden fällt, hält das Display das Ereignis für die Nachwelt fest. Handys können repariert werden, aber die Kosten dafür betragen oft einen erheblichen Teil des Preises eines neuen Geräts. Und Smartphones sind nur die Spitzes des Berges an schwer reparierbaren Elektrogeräten.

Um dem entgegenzuwirken, haben Repair-Cafés und ähnliche Initiativen an Beliebtheit gewonnen. Freiwillige treffen sich dort, um (elektronische) Geräte zu reparieren und sich gegenseitig dabei zu helfen. Durch ein neues Kabel oder einen neuen Stecker erhalten funktionsfähige Geräte ein neues Leben, die sonst im Müll gelandet wären.

Natürlich wäre alles viel einfacher, wenn die Unterhaltungselektronik von Anfang an auf Reparatur ausgerichtet wäre. Einen Weg in eine solche Zukunft zeigt beispielsweise Fairphone. Mit dem Anspruch, die Elektronikindustrie zu verändern, stellt das Unternehmen Smartphones her, die von ihren Besitzern repariert werden können. Ersatzteile sind in ihrem Online-Shop erhältlich – ein Ersatz-Kameramodul oder ein Display für ihr neuestes Modell kostet dort beispielsweise ca. 80 Euro. Neben der Repairability setzt sich das Unternehmen intensiv mit der Lieferkette auseinander, beschafft verantwortungsvoll abgebaute Materialien und setzt sich für fairere Arbeitsbedingungen ein.   

Auch im Makerspace ist der Wandel spürbar. OKdo hat im Jahr 2021 das Raspberry Pi Renew Programm gestartet. Britische Besitzer des beliebten Einplatinencomputers (SBC) können ihn zurückgeben. Anschließend wird er vom Originalhersteller Sony bewertet und getestet. Boards, die repariert werden können, werden weiterverkauft, während der ursprüngliche Besitzer einen Gutschein für einen zukünftigen Kauf erhält. 

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Eine Frau beobachtet den Druckvorgang in einem 3D-Drucker Additive Fertigungsverfahren wie der 3D-Druck ermöglichen eine effizientere Nutzung von Rohstoffen

Subtraktive vs. additive Fertigung


Die bisherigen Beispiele zeigen Maßnahmen am Ende des Lifecycels von Produkten. Es gibt aber auch Lösungsen, die schon im Herstellungsprozess ansetzen.  

Additive Fertigungstechniken bieten Potenzial für die nachhaltige Nutzung von Rohstoffen. Mit 3D-Druckern und Open-Source-Designsoftware können wir zum Beispiel Kunststoffersatzteile entwerfen, um kaputte Gegenstände zu reparieren. Dieser Ansatz eignet sich jedoch nicht nur für Verbraucher, die Reparaturen durchführen, sondern wird zunehmend in der Massenproduktion eingesetzt.

Die Herstellung von Leiterplatten (PCB) war lange Zeit ein subtraktiver Prozess, bei dem kupferbeschichtetes Material verwendet und das Metall dort entfernt wurde, wo es nicht benötigt wurde. Dies ist verschwenderisch und erfordert korrosive Chemikalien und erhebliche Mengen an Wasser.   

Unternehmen wie IO Tech entwickeln Alternativen zur subtraktiven Fertigung, bei denen gerade so viel Material verwendet wird, wie für die jeweilige Aufgabe erforderlich ist. Ihre Technologie Continuous Laser Assisted Deposition trägt leitfähige Materialien dort auf Folien und Substrate auf, wo sie benötigt werden, und druckt Lötmasken und Pasten.

Energieeffizienzprogramme


Elektrische Geräte verbessern zwar die Arbeitsbedingungen und die betriebliche Effizienz, benötigen aber Energie für ihren Betrieb. In den 1980er Jahren waren Computer eine Seltenheit, selbst in Büros. In den 2000er Jahren verfügten die meisten Büroangestellten über einen PC und einen Monitor sowie über einen Drucker. Um sicherzustellen, dass der Energieverbrauch und nicht nur die Leistung im Fokus der Hersteller steht, führten Regierungen und Institutionen auf der ganzen Welt Energieeffizienzprogramme ein.

Initiativen wie das US-amerikanische Energy-Star-Programm erstrecken sich nicht nur auf Computer und Drucker, sondern auch auf Server, Haushaltsgeräte und Beleuchtung. Seit seiner Einführung im Jahr 1992 wurden durch das Programm schätzungsweise 5 Billionen Kilowattstunden Strom eingespart und die Treibhausgasemissionen um 4 Milliarden Tonnen reduziert. Die Energieetiketten in der EU (Richtlinie 92/75/EG) leiten die Verbraucher zu effizienten Geräten, was zu massiven Verbesserungen geführt hat. In einigen Kategorien musste die Klasse A auf A+++ erweitert werden, und bei einer Aktualisierung im Jahr 2017 wurden die Klassen überarbeitet, um den kontinuierlichen Fortschritten bei der Geräteeffizienz Rechnung zu tragen.  

Sichere Lieferung in minimaler Verpackung  


Elektronische Geräte sind nicht nur teuer, sondern auch zerbrechlich. Deshalb ist es wichtig, sie so zu verpacken, dass sie sicher in die Hände der Verbraucher gelangen. Doch im Laufe der Jahre ist die Menge des verwendeten Einwegplastiks zu groß geworden. Unternehmen wie Apple haben sich dieses Problems angenommen. Ein Bericht aus dem Jahr 2017 zeigt, wie recycelte Fasern zum Hauptverpackungsmaterial für das iPhone 7 wurden und Kunststoff in der Verpackung  verdrängten.

Industrieunternehmen wie die RS Group haben Verpackungen auf ihrem Radar und sehen sie als Teil ihrer Nachhaltigkeitsverpflichtung, bis 2030 netto null zu produzieren. Als Lieferant von Elektronikkomponenten, Werkzeugen und Testgeräten ist das Unternehmen auf dem Weg, sicherzustellen, dass 100 Prozent seiner Verpackungen wiederverwendbar, recycelbar oder kompostierbar sind und zu 50 Prozent aus recyceltem Material bestehen.   

Nachhaltigkeit in der Elektronikindustrie ist ein Thema mit viel Potenzial


Die genannten Beispiele zeigen nur einen kleinen Ausschnitt aus der schier unüberblickbaren Welt der Elektronik und der eingebetteten Systeme. Doch schon an diesen wenigen Beispielen wird klar: Die Elektronik- und Halbleiterindustrie ist beim Thema Nachhaltigkeit gleichzeitig Fluch und Segen.

Kinder, die an Diabetes leiden, sind zweifellos dankbar für die einfache Behandlung, die eine Insulinpumpe ermöglicht – ebenso wie ihre Eltern. Aber andererseits: Brauchen wir wirklich Hunderte von billigen Bluetooth-Kopfhörern? Es lassen sich unzählige solcher Beispiele finden.  

Wir sind eindeutig auf dem richtigen Weg, haben aber noch einen langen Weg vor uns. Die Gesetzgebung hilft. Initiativen zur Energieeffizienz führten zu präventiven Maßnahmen und Innovationen, die Geräte effizienter machten, als es die Etikettierung zuließ. All dies zeigt, dass der Markt Bedarf an nachhaltigeren Praktiken in unserer Branche hat, und ermutigt Unternehmer und Start-ups, an transformativen Technologien wie der additiven Fertigung zu arbeiten. In der Zwischenzeit liegt es in der Verantwortung von uns allen, vom einzelnen Verbraucher bis zum globalen Unternehmen, unsere Kaufentscheidungen zu überdenken, aktiv nach Möglichkeiten der Wiederverwendung und des Recyclings zu suchen und unsere Nutzung der natürlichen Ressourcen, auf die wir so angewiesen sind, zu verbessern.